„Liebe Kinder, bewahrt bitte den Frieden!“
„Vertreibungen, Boykotte, Zwangsarbeit, Deportationen hat es während des Nationalsozialismus in Deutschland täglich gegeben, aber auch hier bei uns?“
Dieser Frage sind Schülerinnen und Schüler des Ganztagskurses Stolpersteine des Jahrgangs 7 der Oberschule Uchte in diesem Schuljahr gemeinsam mit ihrer Lehrerin Silke Wiehe intensiv nachgegangen. Nachdem zuerst die Uchter Stolpersteinfamilien lange die Kursarbeit prägten (z.B. entwickelte sich ein reger Briefwechsel mit Hinterbliebenen in den USA und Israel), so stand aktuell die Situation von Zwangsarbeitern in der heimischen Region im Fokus. Da auch der Wunsch nach einem gemeinsamen Unterrichtsgang immer lauter wurde, war mit der ehemaligen Pulverfabrik in Liebenau mit dem angeschlossenen Arbeitserziehungslager das Ziel schnell gefunden. Groß war jedoch die Überraschung, als Martin Guse, der Leiter der Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V. zusätzlich ein Zeitzeugengespräch offerierte, der zeitgleich in seiner Jugend – AG erwartet wurde.
Zu Gast in der Oberschule Uchte war dann also Karl Payuk (93) aus der Ukraine, der im Alter von 16 Jahren 1942 nach Deutschland verschleppt worden war und nach einem Fluchtversuch für 22 Tage im Arbeitserziehungslager Liebenau inhaftiert wurde. Anschließend war er Zwangsarbeiter in einem Stahlwerk in Salzgitter, bevor er sich im April 1945 im Todeszug nach Bergen – Belsen befand und sich nach dem Beschuss des Zuges in Celle der „Hasenjagd“ ausgesetzt sah. Nach der Befreiung des KZ Bergen-Belsen und überstandener Typhus – Erkrankung konnte er die Heimreise antreten, nach drei Jahren in unterschiedlichen deutschen KZs!
Karl Payuk berichtete unaufgeregt und ohne erhobenen Zeigefinger aus dieser für ihn so schweren Zeit, aber immer ohne die jugendlichen Zuhörer zu überfordern. Eindrucksvoll war es für sie, als er auf deutsch den Gesang anstimmte, den er täglich als Zwangsarbeiter in Salzgitter singen musste auf dem Weg von seiner Baracke durch den Tunnel zum Stahlwerk: „Zur Arbeit gehen, zur Arbeit gehen…“ Nach bedrückenden aber auch kurzweiligen anderthalb Stunden erklärte Payuk ohne zu zögern auf die Frage, mit welchen Gefühlen er heute an „die Deutschen“ denke: „Es gab keine schlechten Deutschen. Jeder wurde gezwungen zu dienen.“ Er beschloss den Nachmittag mit dem eindringlichen Appell: „Liebe Kinder, bewahrt bitte den Frieden!“
Drei Tage später konnte ein kleiner Teil der Lebensgeschichte Karl Payuks in Liebenau nachverfolgt werden und erhielt so eine noch eindrucksvollere Authentizität: in den Gebäuden zu stehen, in denen Karl – kaum älter als die Jugendlichen selbst – vor 77 Jahren zur Arbeit gezwungen worden war, vielleicht die gleichen Wege zu gehen, die er täglich auf dem Gelände gehen musste. Zudem verstand es Martin Guse, die Jugendlichen mitzunehmen auf eine Gedankenreise in die Lebens- und Arbeitsverhältnisse in der Pulverfabrik vor über sieben Jahrzehnten. Das dunkle Kapitel „Zwangsarbeit hier bei uns“ hat so ein Gesicht erhalten und wird nicht so schnell in Vergessenheit geraten.